Zu Padre Benedikt,

dem Gründer und Leiter der auf diesen Seiten aufgeführten Hilfsprojekte.

Die folgenden Bildern zeigen die Geschichte der Entwicklung meiner Arbeit in

Brasilien und geben ein Bild über meine Eindrücke und Erlebnisse .

Ein scheinbar endloses Jahr habe ich Tag und Nacht - in São Paulo auf den Straßen und in den Elendsvierteln gearbeitet und bin eingetaucht in die düstere, grausame Realität der Straßenkinder. Ich wurde ihr Bruder und Freund, um ihnen zu helfen, den mörderischen Straßen zu entkommen und womöglich in ihre Familien zurückzukehren. Ich meldete sie in den Schulen an, begleitete sie zu Behörden, vermittelte ihnen medizinische Betreuung oder war einfach für sie da als Bruder und Freund.
Die Sehnsucht der Kinder nach Liebe und Geborgenheit erfüllte sich nur selten. Es herrschte darum besondere Freude, wenn ein Kind von der Straße nach Hause zurückkehrte. Das war zwar oft ein langer, mühseliger Weg, doch am Ende stand ein neuer Glaube eine glücklichere Zukunft.
Ich habe oft ganze Nächte unter der Brücken der Schnellstraßen und in den Lüftungsschächten der U-Bahn zugebracht, um die unmenschliche Realität kennenzulernen, denen die Kinder und Jugendlichen ausgeliefert sind, die ohne Würde und Liebe auf den Straßen und Plätzen der erbarmungslosen Großstadt leben. Ich wurde Zeuge, wie große Kinderbanden oft 200 und mehr den zentralen Platz in São Paulo belagerten, alle Regeln und Gesetze missachteten, zerstörten, in den städtischen Brunnen badeten und viele Menschen beraubten, die die U-Bahnhöfe verließen. Ich konnte mich frei und ohne Bedrohung durch die Banden unter den Straßenkindern bewegen. „Bene“ ist unser Bruder „Einer, der unsere Würde respektiert und unser Schicksal ändern will und deswegen unser Leben ohne Hoffnung, ohne Lächeln teilt.
Man wird nicht als Straßenkind und Mitglied einer gewalttätigen, brutalen Bande geboren. Hunger, Gewalt, mangelnde Verantwortung der Eltern, meistens die nicht mehr erträgliche Not treiben die Kinder aus ihrer elenden Hütte auf die Straßen. Sie ahnen nicht, dass sie das eine Elend gegen ein noch bedrückenderes eintauschen.
Und so treffen wir sie einzeln oder in Gruppen auf den Straßen und Plätzen der großen Städte. Sie haben die Beziehung zu ihren Familien abgebrochen, besuchen keine Schule, bestreiten ihren Lebensunterhalt durch Diebstähle und Betteln und verbringen die Tage herumstreunend auf den Straßen .Nachts verkriechen sie sich in die Hausecken der Kaufhäuser oder liegen auf den Luftschächten der Fernheizungen, um sich vor der Kälte zu schützen, zugedeckt mit alten Zeitungen und zerlumpter Kleidung.
So führen Tausende von Kindern eine immer gefährdete Existenz am Rande der Gesellschaft. Eine skrupellose Ausbeutung und völlige Ausweglosigkeit ist ihr Schicksal. Kinder ohne Zukunft geraten in die Hände der gewalttätigen Banden und gewissenloser Geschäftemacher. Das ist das neue „ersehnte Leben“: Drogen, Kriminalität, Prostitution und Verbrechen.
Sie schnüffeln Kleber und betäuben mit den giftigen Dämpfen ihre Angst und ihre Schreie nach Hilfe und Geborgenheit. Straßenkinder werden missbraucht, gejagt und verkauft. Sie sind Kinder ohne Herkunft und ohne Namen. Sie sind eines Tages verschwunden, ohne dass jemand nach ihnen fragt. Niemand will sie, niemand kümmert sich um sie, niemand nimmt sich ihrer an.
Und so leben sie in völligem Allein- gelassen-werden. Sie haben Hunger, Angst und empfinden eine namenlose Leere, weil ihnen ihre Würde geraubt wurde. Und namenlos, wie sie lebten, sterben sie. Morgens, wenn die Müllabfuhr die Straßen säubert, werden sie „eingesammelt“ und auf dem „Friedhof der Armen “verscharrt“. Kinder, die lebten, ohne je gelebt zu haben.
Fast alle Kinder, mit denen ich auf der Straße lebte, wurden umgebracht. Für die Totschläger und Mörder interessierte sich niemand.
Wer einem Straßenkind helfen will, muss schnell und effektiv handeln, denn die Chance, auf der Straße zu überleben ist für diese Kinder äußerst gering.
Drogen, wie Kokain, Marihuana, Crack u.a. erzeugen eine Scheinwelt, machen für eine Zeitlang das Leben auf der Straße erträglich, entziehen den Kindern aber jede Möglichkeit einer Umkehr. Und so kommt es: wer der brutalen Gewalt auf den Straßen entkommen kann, stirbt meistens an den zerstörerischen Folgen der Sucht.
Die Kinder auf den Straßen haben Angst, finden keinen Ausweg, sind oft total verzweifelt. Sie können die „harten Drogen“ nicht finanzieren und verkaufen ihre Körper und ihre Seelen, schnüffeln Kleber, dessen giftige Gase ihr Leben langsam und qualvoll zerstören. Doch die Droge ist für die Kinder und Jugendlichen die einzige Chance, das Elend und die persönliche Not zu beenden.
Zwei Mädchen, Geschwister, müssen auf der Straße leben, weil die Mutter unter den Brücken Drogen verkauft und sich selbst. Wird sie sterben, leben die beiden Mädchen allein und schutzlos auf den auch für sie tödlichen Straßen.
Straßenkinder sind wehrlos jeder Gewalt, jedem Killer ausgeliefert. So wurde, der auf dem Bild gezeigte minderjährige Junge vor meinen Augen ohne erkennbaren Grund erschossen.
Im Jahre 1992 begann ich mein Theologie-Studium in Recife. Die Not der Kinder in der Millionenstadt war himmelschreiend und so kümmerte ich mich neben dem Studium auch hier um die Straßenkinder insbesondere um die hochgefährdeten Kinder im Hafenviertel. Das waren denkwürdige Begegnungen in den gefährlichen Nächten im Hafen von Recife. Doch wenn ich diesen von allen verlassenen Kindern helfen wollte, musste ich ihre Lebensrealität kennenlernen und ihr Schicksal teilen.
In dem extrem gefährlichen Hafenviertel hausen die Kinder in verfallenen Häusern und Lagerhallen. Sie warten auf ahnungslose Touristen, die im Hafen Vergnügungen suchen und leichte Beute für Überfälle werden.
Wie locke ich die Kinder von den Straßen? An den Wochenenden lud ich ganz Banden auf das Gelände des Priester-Seminars ein. Sie wurden von mir und einigen Freiwilligen betreut und angeleitet. Das war oft schwierig, weil diese Kinder nicht an Gemeinschaft und ihre Regeln gewöhnt sind Doch der Erfolg war überzeugend. Oft mehr als 50 Kinder aus den Favelas kamen an den Wochenenden zu uns, um zu spielen, zu sprechen, erhielten zu trinken und zu essen. An diesen Tagen brauchte die Polizei sich im Hafengebiet nicht um Straßenkinder zu kümmern. Die waren bei uns.
Eine kleine Gruppe habe ich später in mein Haus (Hütte) aufgenommen. Ich habe sie in der Schule angemeldet, ihnen kleine Arbeiten besorgt und soziales Training mit ihnen versucht. Es war ein schwieriges Sozialisierungsprogramm.
Ein wichtiges Ziel war, Straßenkindern zu beweisen, dass man auch durch Arbeiten Geld verdienen kann, ohne zu stehlen und Menschen zu überfallen. Wir organisierten einen Marktstand, verkauften Hotdogs, boten Tagesdienste an u.a. Das ist der Weg zurück in ein eigenverantwortetes Leben. Es war eine sehr mühselige Erfahrung, verbunden mit viel Arbeit, sehr vielen Enttäuschungen aber auch Freuden, wenn Jugendliche den „Weg zurück“ fanden.
Die Kinder, die ich betreute, führten mich irgendwann zu ihren Eltern und den unbeschreibbar schrecklichen Wohn- und Lebensumständen, vor denen die Kinder davongelaufen sind: verfallene Holz- und Blechhütten mit oft nur einem einzigen Raum für die ganze Familie. Kein ausreichender Platz und steter Kampf um das Überleben. Dazu brutale Väter, die die Mütter allein ließen, drogenabhängige Eltern zwingen Kinder auf die Straßen.
Täglicher Hunger und bitterste Armut auch wegen der vielen Kinder in den Familien der Favelas erstickten jede Anstrengung, das so schwer gezeichnete Leben aus eigener Anstrengung zu verbessern. Die Kinder wurden zum Betteln auf die Straße geschickt und verloren schon früh jeden Lebensmut und dazu ihre Würde. Der verhängnisvolle Kreislauf von Verbrechen und Drogen bestimmte ihr Leben.
Hunger quält. In Arcoverde, wo ich eine Zeitlang auf der Müllkippe gearbeitet habe, wühlten die Kinder wie Schweine und Hunde im Müll, um etwas Essbares zu finden für sich und ihre Familien.
Welch eine Erniedrigung. Von den Resten und den Müll anderer mussten diese Kinder ihr pures Überleben sichern.
Im sehr trockenen Inland Brasiliens ist die Armut der Menschen tödlich. Die völlige Mittellosigkeit der Familien zerstört jede Hoffnung auf ein Leben, in dem man wenigstens einmal satt werden könnte. So sind die riesigen Müllberge oder die Flucht in die erbarmungslosen Straßen der großen Städte die schrecklichen Alternativen.
Landlose Bauern -ohne Rechte und ohne Land- demonstrieren für eine gerechte Verteilung des riesigen Großgrundbesitzes, über den nur wenige - ohne soziale Verantwortung verfügen. Die Proteste wurden von der Polizei brutal aufgelöst und oft blutig beendet.
Die von den Großgrundbesitzern sklavenähnlich abhängigen Landlosen besetzten ungenutztes Gelände. Manchmal durften sie dieses in einer Art Pacht verwalten und für den eigenen Lebensunterhalt bewirtschaften.
Es gibt keine Signale aus ihrer Not. Es sei denn wir teilen unseren Besitz mit den Hungernden und Armen!.
Selbst in der größten Not war diesen Familien die Gastfreundschaft heilig. Ich wurde bei Ihnen zum Freund und ein Zeichen der Hoffnung.
Im Jahre 1998 habe ich in Recife das erste Haus für bedrohte Straßenkinder eröffnet. 30 Kinder konnten in diesem Hause Zuflucht finden. Einige kamen direkt von der Straße zu uns, andere wurden uns von den Jugendämtern zugewiesen. Es war ein für die damalige Zeit ideales Haus mit einem überzeugenden und sehr erfolgreichen Konzept. Sozialassistenten, Psychologen und Erzieher bildeten das effektive therapeutische Team. Bei uns lernten die Kinder die Schrecken der Straße zu verarbeiten und zu vergessen.
Herzlichkeit, Fröhlichkeit, Gemeinschaft üben, die Würde der Kinder respektieren, das waren die Pfeiler unserer Pädagogik. Schon nach kurzer Zeit waren wir in Recife das bekannteste Projekt für Straßenkinder. Unser familienähnliches Zusammenleben wurde zum Vorbild für andere Einrichtungen.
Die Zirkusschule war für unsere Kinder eine besondere Attraktion. Einige aus unserer Gruppe waren sogar ganztägig dort beschäftigt. Sie organisierten Feste und Veranstaltungen und fanden großen Anklang in der Öffentlichkeit.
Das galt auch für unsere Musikgruppe, die Einladungen erhielt für Auftritte bei öffentlichen Veranstaltungen. - Ehemalige Straßenkinder-!
Musik war ein wichtiges Element für unser alltägliches Leben.
Im Jahr 2004 wurde ich zum Priester geweiht und erhielt vom Bischof u.a. den Auftrag, die soz. Projekte der Diözese zu koordinieren.

Unsere Arbeit teilte sich daraufhin in verschieden Bereiche auf:

Kinderheim Lar Domingos
Kinderheim Mãe Rainha
Jugendzentrum in Recife
Arbeit in der Gemeinde
Jugendzentrum „Bom Pastor“ (Guter Hirte)
Música em Movimento (Musik in Bewegung)
Soziales und Pastorales Zentrum „Guadalupe“
Auf diese Weise entstand ein Netzwerk von Einrichtungen. Die Informationen über die Arbeit jeder dieser Einrichtungen kann auf den hier aufgestellten Seiten entnommen werden.
Unsere Geschichte
Die Leitidee meines Lebens, als Priester den Armen, Schwachen und Hilflosen zu dienen, entfaltete sich in den letzten Jahren meiner Schulzeit in der St. Ursula-Schule, Hannover. Meine endgültige Entscheidung wurde erhärtet und geprägt durch den besonderen Geist und das überzeugende Ethos dieses herausragenden Gymnasiums. Nach dem Abitur (1989) und der anschließenden Zivizeit begann für mich die Phase des Suchens. Ich reiste nach Brasilien und arbeitete dort in der „Fazenda da Esperança“ einem Zentrum für drogenabhängige Jugendliche und Erwachsene. Von einem Tag auf den anderen - ohne jede Vorbereitung und begleitende Hilfe wurde ich mit der Leitung eines Hauses für drogenabhängige Erwachsene betraut. Ich wurde konfrontiert mit Süchtigen, Kriminellen, mit jungen Erwachsenen, die keine Lebensregel kannten und achteten. Ein harter Brocken!
Schon in Deutschland beschäftigte mich das Schicksal der Straßenkinder. Wie sie leben und sterben auf den Straßen und in den Slums der riesigen, erbarmungslosen Großstädte Brasiliens. Und so verließ ich nach einem halben Jahr die Fazenda und reiste weiter nach São Paulo. Dort lebte ich unter ärmlichsten Bedingungen in einem Elendsviertel und arbeitete in einem Haus für aidskranke, sterbende Menschen. Hier erlebte ich die Grenzen menschlichen Lebens. In diesem „Haus der Sterbenden“ teilte ich unvorstellbares Leid und grenzenlose Verlassenheit mit Menschen, die für niemanden etwas wert waren ausgestoßen und vergessen! Da lagen sie auf ihren zerschlissenen, fleckigen Matratzen, mit Lumpen zugedeckt, abgemagert, und ausgezehrt zum Skelett, einem langsamen, qualvollen Sterben ausgeliefert. Ich musste diese, vom Tode gezeichneten Menschen vollständig pflegen. d.h. waschen, wickeln und Nahrung einflößen, soweit überhaupt noch möglich. Ich war für sie da bis zum Ende! In einem offenen Pritschenwagen fuhr ich sie zum „Friedhof der Armen“ und begrub sie. Kein Kreuz, kein Name, von niemandem vermisst.
Während dieser Zeit der Findung und Festigung meiner Priesterberufung, ereignete sich ein, für meinen weiteren Weg entscheidendes, zufälliges Treffen mit den Straßenkindern São Paulos. Seitdem wusste ich, dass mein Einsatz und meine Hingabe als Priester besonders den Straßenkindern gelten würde. Und so kam es zu der – für meine Zukunft – so denkwürdigen Begegnung: Ich stand vor einer Imbissbude und kaute einen Hamburger. Plötzlich war ich umringt von Kindern und Jugendlichen, die gierig jeden meiner Bissen mitkauten. Sie hatten Hunger. Brasilianer vertreiben diese Kinder sofort – notfalls mit Gewalt. Oder rufen die Polizei.
Ich spürte die Not und den Hunger dieser Kinder und statt sie wegzujagen, nahm ich sie mit in die Imbissbude und bezahlte ihnen ein Essen gegen alle Proteste des Wirtes und der anwesenden Gäste. Die Kinder waren Mitglieder einer großen Band aus der City. Sie luden mich ein, mitzukommen und kennenzulernen, wo sie lebten. Ich tauchte ein in eine unvorstellbare Welt von Drogen, Verbrechen, Dealern und jeder Art von Gewalt. Die Bosse vertrauten mir und ich begleitete diese Kinder und Jugendlichen auf ihren Wegen unter den Brücken, die „Orte der Hölle“ sind, ein hochgefährliches Gemisch aus Drogen, Kriminalität und Tod. Hier wird meine Priesterberufung geprüft, hier musste sie sich bewähren.
Diese Eindrücke prägten mich entscheidend, ich beschloss, in Brasilien Theologie zu studieren und wurde einige Jahre später in der Kathedrale von Penedo zum Priester geweiht. Noch während des Studiums gründete ich das erste Heim für Straßenkinder, das mit Hilfe deutscher Spender unterhalten werden konnte. Die Sorge um die Armen der Gesellschaft wurde zu meiner zentralen pastoralen Aufgabe als Priester.
Viele Kinder und Jugendliche konnte ich überzeugen, die Straßen zu verlassen und in ihre Familien zurückzukehren. Für die, die auf der Straße blieben ohne Hilfe, ohne jede Zuflucht .war das Leben nur von kurzer Dauer. Straßenkinder sind nichts wert. Sie werden missbraucht, als Drogendealer ausgenutzt und getötet, wenn sie für die Bande von keinem Nutzen mehr sind. Am Morgen werden sie eingesammelt und irgendwo begraben. Niemand trauert, niemand erinnert sich, sein Name ist ausgelöscht, er war ja nur ein Straßenkind!
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